Frankfurter Allgemeine Zeitung
20.11.2005
Alle unter einem Hut
Stadt, Land und Investoren einigen sich
DARMSTADT. Die Stadt und das Land Hessen haben sich nach mehrmonatigen Verhandlungen mit zwei Investorengruppen über den Verkauf und die Bebauung des kleinen, aber für die Innenstadtentwicklung bedeutsamen Quartiers um den Parkplatz am ehemaligen Marstall hinter dem Pali-Kino geeinigt. Die ausgehandelte Lösung stellten gestern der Staatssekretär im Finanzministerium, Walter Arnold, Darmstadts Oberbürgermeister Walter Hoffmann (SPD) und Stadtbaurat Dieter Wenzel (SPD) vor. Nach den bereits notariell beglaubigten Verträgen, denen der Haushaltsausschuß des Landtages noch zustimmen muß, erwirbt die Biag Gruppe das Gebäude des ehemaligen Marstalls, in dem die Regionalniederlassung Süd des Hessischen Baumanagements residiert, für 1,55 Millionen Euro vom Land. Der unbebaute Grundstücksteil zwischen Pali-Parkplatz und dem historischen Waschhaus geht für 700 000 Euro an die Bietergemeinschaft Scheinert, Wolf und Biskupek. Das Land erhält somit einen Gesamterlös von 2,25 Millionen Euro.
Während Biag den ehemaligen Marstall für 15 Jahre wieder an das Land rückvermietet, will die Bietergemeinschaft auf dem etwa 2800 Quadratmeter großen Areal zwei neue Gebäude errichten sowie eine Tiefgarage. Die gestern vorgestellten Pläne sehen einen acht Meter breiten und 50 Meter langen Baukörper zwischen Pali-Parkplatz und Friedensplatz vor, in den das Einrichtungshaus Funktion" umziehen soll, das seine Geschäfts- und Ausstellungsräume derzeit in einem SechzigerJahre-Pavillon nur einige Meter entfernt hat. Der etwa 1200 Quadratmeter große Neubau ist als schmaler Glaskörper gestaltet, der mit seiner Dreigeschosssigkeit den Maßstab der Bebauung der Rheinstraße aufnimmt und eine neue kleine Passage schafft. Im rechten Winkel dazu soll auf dem zweiten Baufeld ein weiteres Gebäude mit etwa 1000 Quadratmeter Nutzfläche entstehen, das für eine Büronutzung und für Praxen vorgesehen ist.
Das alte Waschhaus, in dem sich die Vermögensverwaltung der Darmstädter Landgrafen befindet, ist zwar nicht Teil der Verkaufsaktion, aber dennoch in die Planungen einbezogen. Es erhält einen kleinen Vorgarten gegenüber dem Friedensplatz und möglicherweise auch eine neue Nutzung. Die Rede war gestern von einem Cafe. Voraussetzung sei allerdings eine Einigung mit der Vermögensverwaltung, die das Haus gemietet habe, hob Arnold hervor. Über die Höhe der Investition machten Wolf und Ulrich Scheinert keine Angaben.
Hoffmann wie Arnold lobten gestern die gefundene Lösung. Die Verhandlungen seien kompliziert gewesen und hätten zeitweise auf Messers Schneide" gestanden, dank des konstruktiven Willens aller Beteiligten aber zu einem guten Abschluß gebracht werden können. Wir haben in langen Verhandlungen alle Interessen unter einen Hut bekommen: Das Land vereinnahmt den angestrebten Gesamterlös von 2,25 Millionen Euro, die Stadt Darmstadt kann den Friedensplatz neu gestalten, das Möbelhaus kann bauen, und die Biag erhält einen sicheren Mieter", sagte Arnold.
Tatsächlich eröffnen die ausgehandelten Verträge stadtplanerische Optionen, die über die Neugestaltung des Pali-Parkplatzes hinausreichen. Denn durch den Neubau des Möbelhauses sieht sich Funktion"-Geschäftsinhaber Gerhard Wolf in der Lage, den alten Pavillon am Friedensplatz an die Stadt zu verkaufen; für ihn besteht ein Erbpachtvertrag bis 2032. Im Falle einer Einigung könnte die Stadt dieses aus heutiger Sicht deplatziert und architektonisch störend wirkende Gebäude zwischen Schloß und Landesmuseum niederlegen. Wolf sagte gestern, der Ball liege nun bei der Stadt. Er sei zum Verkauf bereit. Allerdings gebe es einen zeitlichen Rahmen. Er könne, nachdem der Neubau bezogen sei, den alten Pavillon nur noch ein oder zwei Jahre anderweitig nutzen. Dann müsse er vermieten. Und jeder, der den Pavillon mieten möchte, will sicherlich einen Vertrag über zehn oder mehr Jahre."
Für einen Kauf des Pavillons sind im städtischen Haushalt, wie Wenzel gestern sagte, bislang keine Gelder eingestellt. Es bestünden bislang nur Pläne und Überlegungen für den angrenzenden Ernst-Ludwigs-Platz, der umgestaltet werde solle, nachdem die neue Haltestelle Schloß eröffnet sei, und die Absicht, anschließend den Friedensplatz zu erneuern.
An der Pressekonferenz nahmen gestern auch die Landtagsabgeordneten Ruth Wagner (FDP), Rafael Reißer (CDU) und Michael Siebel (SPD) teil. die die Verhandlungen begleitet hatten. Wagner ist mit dem Fall des Möbelhauses schon seit drei Jahren befaßt, anfangs als Ministerin für Wissenschaft und Kunst, die über Bauabsichten Wolfs zu befinden hatte. Möglicherweise werden die drei Abgeordneten auch künftig als Mittler benötigt. Wie Hoffmann gestern sagte, stehen mit dem Land - das über weiteren Immobilienbestand in Darmstadt verfügt - demnächst wieder Gespräche an. Worum es dabei geht. äußerte er nicht. Auch die Technische Universität Darmstadt ist mit Wiesbaden in Verhandlungen über die Sanierung und künftige Nutzung des Schlosses, an dem ebenfalls städtische Interessen bestehen.