Darmstädter Echo
18.08.2003

Kabelsalat in Darmstadts Eiffelturm

Zwei lichtdurchflutete Höfe im obersten Stockwerk gehören zum Umbaukonzept

Christoph Wagner rollt ein riesiges Kreissägeblatt (Foto rechts unten) über das Dach zu einem großen, klaffenden Loch. Am Arbeitsplatz angekommen, die finalen Handgriffe vorm Start: Stöpsel ins Ohr, Zigarette in den Mund, Feuer – los.

In der Hand die Fernbedienung, mit der er die Säge durch den Beton steuert. Staubwolken, Funkenflug, ohrenzerreißendes Kreischen. Stück für Stück trägt der Bohr- und Sägespezialist seit Wochen den Beton ab, der in den vergangenen vierzig Jahren das Licht ausschloss und Dunkelheit ein – in bester Siebziger-Jahre-Architektur-Tradition.

Doch jetzt bricht in dem vierstöckigen Gebäude am Ludwigsplatz, in dem zunächst „Quelle“, dann „Herti“, schließlich „Living Karstadt“ und dann drei Jahre lang gar nichts beherbergt war, die Moderne an.

Zwei lichtdurchflutete Höfe im obersten Stockwerk sind elementarer Bestandteil des Umbaukonzepts. Und: Glas, Glas, Glas. Das Zauberwort heißt „Transparenz“. Immer wieder dringt es aus den Mündern der Investoren, die hinter dem Kürzel BKS stecken: Biskupek, Kolb, Scheinert.

„Wir haben uns bemüht, eine zusammenhängende, transparente Fläche herzustellen“, erläutert Bauingenieur Peter Biskupek im Erdgeschoss bei der Baustellenbesichtigung. Noch hängt Kabelsalat von der Decke, noch liegt Staub auf dem blanken Betonboden.

Doch dort, wo derzeit noch Transporter herumstehen und Rolltreppen unter Folie schlummern, sollen gegen Ende des Jahres die ersten Kunden durch ein weiträumiges Entree in ein Einkaufszentrum treten, das sich auf 15 000 Quadratmeter ausbreitet (Zum Vergleich: Das Carree umfasst 18 000 Quadratmeter).

Hämmern, Sägen, Bohren, Schleifen: Das Geräuschegemisch, das seit Monaten lautstark auf die Fußgängerzone in der Elisabethenstraße schallt, klingt geschäftig. Die Operation Entkernung des Innenlebens ist fast abgeschlossen.

Mindestens 800 Container Schutt, berichtet Peter Kolb, seien aus dem alten Bau herausgetragen worden. Allein das habe 1,5 Millionen Euro gekostet. Im obersten Stock liegen noch Reste. Haufenweise zerbröckelte Steine und Regalfragmente. An der Wand noch eine Kitschtapete mit Sonnenuntergang und Palmen, die einst die Personalräume schmückte. Auch sie gehört bald der Vergangenheit an.

„Das wird eine völlig neue Fassade mit einem völlig neuen Gesicht“, sagt Bauherr Kolb, während er auf die Front des Baus zeigt. Derzeit wirkt sie wie eine Darmstädter Ausgabe des Eiffelturm-Erdgeschosses: Stahlgestänge kreuz und quer.

Gläsern, hell und freundlich soll die Außenhaut sein, wenn sie in sechs Wochen fertig ist – das verheißt das Werbeschild mit der Aufschrift „LP6“, das dort hängt. LP6 – Ludwigsplatz 6, das soll Darmstadts neuer Anziehungspunkt werden. „Muss, muss“, befindet Werbeberater Wolf-Dieter Zorn. „Das war ja in den letzten Jahren eine absolut trostlose Ecke.“

Von deren Niedergang kann auch Kurt Müller ein Klageliedchen singen, der seit 23 Jahren vor dem Kaufhaus Blumen verkauft. „Mit Quelle lief der Umsatz hervorragend“, sinniert er. Doch mit Hertie sei bei ihm auch das Einnahmeminus eingezogen, was sich mit den Nachmietern fortsetzte. Ganz zu schweigen von den fast dreijährigen Leerstand.

„Wir warten alle gespannt drauf, dass es aufmacht“, sagt der Blumenhändler, der wegen dem Umbau ein paar Meter wegziehen musste. Für ihn nicht weiter schlimm: „Die Anlieger sind alle froh, dass da endlich was passiert. Da nehmen wir gern auch die Lautstärke in Kauf.“